"Sagen was ist". Diese Aufforderung stammt zwar ursprünglich von Rudolf Augstein und ist bis heute der Leitsatz für den SPIEGEL. Aber wurde längst zum Leitmotiv für viele Journalisten/innen. Schreiben und senden, was tatsächlich passiert. Sachlich - und hoffentlich auch noch kompetent. Dazu noch Hintergründe erklären und die Themen nach Relevanz einordnen. Gerade in Zeiten des aufkommenden Populismus wäre all dies dringend erforderlich.
Doch werden wir diesem Anspruch aktuell noch gerecht ? Sind wir tatsächlich nur noch Beobachter des Geschehens oder sind manche Kollegen/innen nicht schon längst zu Aktivisten geworden ? Berichten wir über Stimmungen unserer Leser/innen, hinterfragen sie - oder machen und verstärken wir sie ?
Einige Beispiele: Im neuen Wochenmagazin "BILD-Politik" lautet der Aufmacher: "Warum haben bei uns Täter mehr Rechte als Opfer ?" Ist eine solche für die Macher wohl feststehende Behauptung noch seriöse Berichterstattung - oder tatsächlich nicht nur plumpe Stimmungsmache ?
Eine andere Titelgeschichte: "Warum versagt unsere Regierung ?" Ob sie "versagt" ist offenbar nicht mehr gefragt, sondern nur noch das "warum". Seriöser Journalismus - oder nicht vielmehr eine anbiedernde Schlagzeile für alle selbsternannten Wutbürger ?
Oder - anderes Beispiel - einen Aufmacher des SPIEGEL: "Es war einmal ein starkes Land". Dazu ein zerfließendes Schwarz-Rot-Gold und Bilder von Angela Merkel und Jogi Löw (nach dem Ausscheiden bei der Fußball-WM). Der SPIEGEL-Befund: "Ausgezehrt, erschöpft, müde". Endzeitstimmung - niedrigen Arbeitslosenzahlen und guter Wirtschaftslage zum Trotz. Gilt da noch das eigene Motto "Sagen was ist" ? Oder gilt jetzt: Stimmung machen für die Auflage ?
Oder der STERN: Auf dem Titel das Foto der (offenbar von einem Flüchtling) ermordeten Susanne F., darunter eine Schlange von Flüchtlingen auf offenem Feld und dazu noch eine in unheimlichen Rot getauchte Angela Merkel. Die Cover-Schlagzeile dazu: "Das zerissene Land". Der passende Kommentar dazu von Stefan Niggemeier: "Ein perfides Cover voll verklebter Symbolik".
Doch manche Kollegen/innen reicht selbst das noch nicht. Sie wollen Aktivisten sein. So forderte BILD seine Leser/innen auf, per Mausklick eine Petition zu unterstützen mit der Forderung: " Merkel soll Abschiebung zur Chefsache machen !" Und BILD verspricht: "BILD wird ihre Botschaften im Kanzleramt überreichen. Und Druck machen."
Was also ist unsere Aufgabe gerade in aufgeregten Zeiten wie diesen ? Wo wir doch alle wissen sollten, dass Populismus weder rechts noch links ist. Es ist schlicht die Vortäuschung einfacher Antworten (und Parolen) auf komplizierte Fragen und Sachverhalte. Sind nicht auch einige Redaktionen bereits dabei, sich bei ihrer Arbeit dieses Populismus zu bedienen ? Ist für sie das Motto "Sagen was ist" vorbei und vergessen ? Eine Diskussion, die uns alle betrifft. Weil sie von Verantwortung und Glaubwürdigkeit handelt. Für den um Vertrauen werbenden Journalismus sind das ganz wichtige Eigenschaften.
Links zum Thema:Versuchung und Verantwortung - Populismus und Medien (360G Medien/mdr)
Journalisten: Berichterstatter oder Sprachrohr des Populismus? (European Journalism Observatory)
"Wir müssen fragen, nachfragen, hinterfragen" - Ein Essay von Michael Strempel (WDR print)
Vor Donald Trumps Zorn ist kein Journalist sicher (FAZ)
„Erste Konferenz der freien Medien“: Wie die AfD rechte Blogger und Identitäre in den Bundestag einlud (Correctiv)
Populismus und Appeasment (Journalist Magazin)