Über fünf Jahre lang verhandelte das Oberlandesgericht die Morde des NSU-Trios. Anfangs waren Plätze knapp, bald nicht mehr. Ein „NSU 2.0“ bedroht eine Anwältin, die Spur führt auch in die Frankfurter Polizei, die Aufmerksamkeit ist groß, dann kommt Weihnachten. Ein Mann gründet unter dem Decknamen Hannibal mehrere Netzwerke für Polizisten, Soldaten, Staatsbedienstete, in denen mutmaßlich rechtsextreme Straftaten geplant worden waren – und es passiert: nicht viel.
Einerseits, weil rechtsextreme Untergrundnetzwerke in staatlichen Institutionen eine dermaßen monströse Vorstellung sind, dass man sie lieber nicht glaubt als glaubt, solange Sicherheitsbehörden sie nicht in offiziellen Papieren bestätigen. Oder? Andererseits, weil wir bei rechtsextremen Vorfällen nicht mehr über Neonazis und ihre geheimen Kadertreffen berichten, sondern über unsere Familienmitglieder, die die AfD wählen oder bei Pegida mitmarschieren, über die Freunde bei der Polizei, die Soldaten, die die Wehrmacht verherrlichen. Oder? Und beim Thema NSU kommen am Ende ohnehin nur noch Expert*innen mit, weil die Komplexität mit jedem Detail zunimmt. Oder?
Dieses Panel soll JournalistInnen ins Gespräch miteinander bringen: um uns über publizistische Strategien auszutauschen und Ideen zu besprechen, die helfen, gegen eine Ermüdung in den Redaktionen und beim Publikum anzukommen, die nicht zuletzt ja auch die Omnipräsens von AfD und Co. mit sich bringt. Es soll eine Gelegenheit sein, um zu hinterfragen, ob wir uns innerhalb der Redaktionen in Diskussionen über Kubitscheks Ziegenkäse-Portraits verlieren und währenddessen verpassen, dass wir längst das Framing, die Thesen und die Sprache der Rechtspopulisten übernehmen. Schließlich stellt sich auch die Frage: Ist die Erkenntnis, es gibt rechte Polizisten und Soldaten, derart Allgemeinplatz, dass er keinen Diskussionsstoff mehr bietet und deshalb nicht als Talkshow-These und für die große Aufregung taugt?
Nach der taz-Veröffentlichung über „Hannibals Schattenarmee“ wurde das Rechercheteam der taz mehrfach gefragt: Warum blieb der große Knall aus? Diese Frage möchte Christina Schmidt nun zurück geben und in einem Podiumsgespräch selbstkritisch reflektieren. Eine Live-Recherche unter KollegInnen.
Links zum Thema:NSU-Prozess (Themenseite Süddeutsche Zeitung)
Der NSU-Prozess und die Medien: „Journalistische Pflicht und Wiedergutmachung“ (Deutschlandfunk)
NSU-Berichterstattung und Vereinfachung - Zschäpe im Sommerlook (taz)