"Erst der Rufmord, dann die Recherche?" So begann ein aufsehenerregender Artikel von Professor Henning Ernst Müller , in dem er sich sehr detailliert mit der umfangreichen Berichterstattung rund um die sogenannte BAMF-Affäre in Bremen beschäftigt (Link unten). Es klingt wie eine Frage, ist aber tatsächlich ein Vorwurf. Verschiedene Medien (darunter auch die Recherchekooperation SZ/NDR/Radio Bremen) hätten einen Vorgang skandalisiert, beteiligte Personen an den Pranger gestellt - und das ohne seriöse Recherche. In der Tat hat sich vieles von dem, was zu Beginn behauptet wurde, durch vertiefende Recherchen und strafrechtliche Ermittlungen relativiert. Begann also alles tatsächlich mit einem "Rufmord" ? Oder war es eine zulässige Verdachtsberichterstattung? Eine Diskussion, die bis heute andauert. Geführt auch von den Medien, die auf diesem Panel zusammentreffen. Eine Kontroverse, die grundsätzliche Fragen berührt, die über den konkreten Fall hinausgehen - und die viel über das aussagen, wie wir arbeiten, wie wir unseren Job verstehen.
Weiterführende Informationen:
Der eigentliche BAMF-Skandal – erst der Rufmord, dann die Recherche? (beck-community)
Nach dem Bremer Bamf-Skandal - Ein Medienskandal? (taz)
Vom Politik- zum Presseskandal? Die Verdachtsberichterstattung rund um „Ulrike B.“ und das Bremer BAMF (Message)Einmal Skandal und zurück? Rechercheverbund in der Kritik (uebermedien.de)
„Wir haben uns den Verdacht nicht zu eigen gemacht“Beim Rechercheverbund ist man über den Vorwurf „erst Rufmord, dann Recherche“ erschrocken. NDR-Investigativchef Stephan Wels weist die Vorwürfe zurück: „Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Wir haben in unseren Berichten nicht nur alibihaft darauf hingewiesen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt“, sagt er auf Anfrage von Übermedien. „Wir haben glasklar deutlich gemacht: Es gibt einen schwerwiegenden Anfangsverdacht. Wir haben uns diesen Verdacht aber nicht zu eigen gemacht, sondern sofort versucht, alle Argumente ins Gesamtbild einzufügen.“
In den ersten Berichten hätten die Medien des Rechercheverbundes detalliert dargelegt, welche Vorwürfe der Strafverfolgungsbehören zu der großen Durchsuchungsaktion bei der Bremer Behörde und in mehreren Wohnungen führte. Die Berichterstattung sei auch zulässig gewesen: „Der Fall hatte erkennbar große Tragweite. Der Vorwurf des bandenmäßigen Betrugs stand im Raum“, sagt Wels. „Im Laufe des Tages sind wir dann mit den Details an alle Beteiligten herangetreten. Über den Tag hinweg haben sich die Dinge entwickelt, das haben wir dann abgebildet.“
Den Vorwurf der Korruption habe die Redaktion „von Anfang an mit einem besonderen Fragezeichen versehen“, sagt Wels. Die unterschiedlichen Angaben über die Zahl der Fälle beruhten auf verschiedenen Quellen: Eine sprach von 2000, eine andere von 1200. Diese Unschärfe habe man versucht, in den Berichten abzubilden. Wels glaubt nicht, dass die Redaktionen sich transparenter hätten berichtigen müssen, als immer mehr Zweifel an den Vorwürfen aufkamen; er würde überhaupt von einer „Korrektur“ nicht sprechen wollen: „Wir haben über die Grundzüge eines Anfangsverdachts berichtet und dann sofort mit Hochdruck versucht, an Rohmaterial zu kommen.“ Nach wenigen Tagen seien Unplausibilitäten deutlich geworden. Eine genaue Bewertung der Vorgänge sei aber nicht trivial, zum Beispiel habe das BAMF in seinem Revisionsbericht auch große Schwierigkeiten gehabt, die gängige Rechtslage richtig einzuschätzen. Es habe keineswegs sofort auf der Hand gelegen, dass das Organisieren von Bussen, um Antragsteller nach Bremen zu befördern, zulässig sei. Wels warnt davor, angesichts der Relativierung vieler Vorwürfe jetzt den Schluss zu ziehen, dass an allen Vorwürfen nichts dran sei. Auch der Revisionsbericht sei trotz offenkundiger Mängel nicht zwingend komplett falsch. Christine Adelhardt vom Rechercheverbund, weist darauf hin, dass verschiedene Medien unterschiedlich mit den Vorwürfen umgegangen sind. „Wir haben den monströsen Anfangsverdacht immer kleiner gemacht; bei anderen wurde er zwischendurch immer größer.“ „Bild“ behauptete, es seien zahlreiche Gefährder ins Land gekommen; vermutlich war es kein einziger. Adelhardt widersprach bei „Anne Will“ auch Stefan Mayer (CSU), der von hoch kriminellen Mitarbeitern im BAMF sprach, als sei das eine erwiesene Tatsache.